Joachim Witt: "Dom"
Geschrieben von Andreas Torneberg   
Donnerstag, 20. September 2012

Eine "Kathedrale der Popmusik" nennt sich das neue Werk Witt'scher Architektur, die in strahlender Melancholie funkelt. Doch in ihren Gewölben befindet sich eine Krypta, die ein einziges Grab verbirgt, aus dem verwesende Gase die Schönheit mit eitrigem Schimmel überziehen; der Leichnam von klangvollen Melodien balsamiert, deren Hooklines schon immer zu den Stärken Witts zählten.

Denke ich zurück an Vorzeiten deutscher Popmusik, so drehte sich da einst auf meinem Plattenteller gern schwarzes Vinyl der Deutschrock Gruppe Duesenberg mit einem schlaksigen Bengel an der Gitarre. Wenig später machte dieser Junge mit seinem "Goldener Reiter" beim Hochlodern der Neuen Deutschen Welle Furore. Und dann kam sein erfolgreichstes Lied zusammen mit
Peter Heppner "Die Flut".

Aber das war 17 Jahre später, und Witt kleidete sich dunkler, sang dunkler, komponierte dunkler und wurde mit seiner Bayreuth-Reihe sogar zu so etwas wie einem Pop-Gruftie.

Von jeher sind es keine lustigen Gesänge von erfüllter Liebe und Surfen auf der höchsten Welle, die er anstimmte, sondern setzten sich zumeist - schon beim Goldenen Reiter - mit inneren oder äußeren Konflikten auseinander. Insbesondere dieses vorliegende Bauwerk spezifischer Popmusik birgt viel Introvertiertheit, Besinnung und vor allem Trauer. Der Versuch, die Trennung von seiner Liebe zur langjährigen Lebensgefährtin Nadja Saeger zu verarbeiten, leitet die Platte mit "Gloria" ein. In diesem und den nachfolgenden Liedern schüttet
Witt sein Herz aus; vielleicht eine Art öffentlich publizierte Seelentherapie. Witt gehört zu den kreativen Menschen, die aus Schmerzen und Schicksalsschlägen neue Ideen entwickeln, ihr eigenes Blut lecken und daraus neue Kraft schöpfen.

Dieser Prozess kanalisiert in wohlklingenden Harmonien aus elektronischen Tüfteleien mit orchestralen Streicher-Arrangements. Vorbei die Zeiten der Bayreuther Neuen Deutschen Härte;
Witt gibt sich konzentriert und ruhig. Manchmal hart an Klippen von schlagerhaftem Kitsch und pathetischem Gefühlsdusel segelnd, verbreitet diese leicht brüchige, tiefe, reife Stimme eine Form der Intimität, die einer Havarie entgeht und rechtzeitig in tiefere Gewässer leitet. Auf dieser Reise nimmt er mit "Königreich" genug Fahrt auf, um die Gefilde der "Tränen" hinter sich zu lassen und dynamisch neue Horizonte anzupeilen. Doch "Das Licht im Ozean" - ein sich hymnenhaft hochschwingendes Lied - glaubt nicht recht an Hoffnung; der Schattenmann Witt kann sich von seinen Besuchen in der dunklen Krypta nicht lösen.

"Komm nie wieder zurück" nähert sich musikalisch den sphärischen Klanggemälden von Kitaro; ein transzendenter Teppich für die Anklagen des Gepeinigten. Es ist erstaunlich, dass dieser inzwischen über sechzigjährige Mann ganz offenbar noch unter denselben Nachbeben von Liebeskummer zu leiden hat wie ein Sechzehnjähriger, will sagen, da ist einer jung geblieben. Die Weisheit fließt weniger in die Form der seelischen, jedoch dafür umso mehr in die der musikalischen Verarbeitung. Also stoßen wir ihn, nein, er stößt sich schon selbst, in ein im Tango-Rhythmus vibrierendes Etablissement: "Leichtsinn". Dort geht's heiß her, heißblütig, tänzerisch. Zwar brummelt er anfangs noch etwas an der Bar, aber dann sieht man ihn doch begeistert über die Tanzfläche schleudern und opernhafte Arien ausstoßen. Und das gesamte kathedralische Bläserensemble fällt dazu ein. Aber hallo!

Leider stellt sich nach dieser rauschenden Ballnacht der Kater ein. Ein schlechter Traum hat das Tor der Angst aufgemacht. "Untergehen" ist die Devise, und richtig: Offenbar ist vom vorher besuchten Etablissement eine Dame hängen geblieben, deren weiblicher Vokalpart mit schmelzender Süße den triefenden Refrain karamellisiert und dem vom morgendlichen Horror Benommenen die Sicht nimmt - das Segelboot dieses Liedes erleidet an der Klippe des Kitsches Schiffsbruch. Doch noch im Untergehen säuselt die schöne Sirene: "Wir werden untergehen, um wieder aufzustehen! Ich bau ein Schiff für dich, ich weiß, du kennst mich nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt, halt an der Liebe fest." Ah ja, das reimt sich, dass der Schmalz von der Tapete tropft. Aber müsste es nicht heißen "Du kennst mich noch nicht"?

So betrachtet ist dieses neue Werk "Dom" vielleicht sogar Witts Methode, eine neue Frau aufzureißen. Wie man so banal verbal sagt. Also, ein Herz im Gleichklang zu erobern, eine vertraute Seele, eine weibliche, zu entdecken, irgendwo da draußen in dem weiten Seelenmeer. Und er ist in der Kathedrale der Glöckner und läutet seine Glocken - bitte, soviel metaphorische Heiterkeit darf sein, es geht hier schließlich um Pop und nicht um Dostojeweski. Bei alledem handelt es sich um einen Herrn im besten Alter mit einem hervorragenden Sinn für schöne Melodien und ausgefeilte Komposition.

Pop kann verflixt schnell in seichten Gewässern auf Grund laufen, und steckt das Schiffchen erstmal im Sand fest, kommt schnell die Ebbe der Zeit und das Machwerk verdorrt in Vergessenheit.
Witt zeigt auch hier im Dom sein Talent, tiefere Gewässer anzusteuern, und wäre das mit dem "Untergehen" am Schluss nicht passiert, würden die Türme dieser dahinsegelnden Kathedrale noch höher ragen. Doch so insgesamt betrachtet ist dem Meister da ein herausragendes Werk gelungen. Entweder Liebesbriefe schreiben oder kaufen oder beides.

(
Video zu "Gloria")

Tracklist:
01. Gloria
02. Jetzt Geh
03. Tränen
04. Blut
05. Königreich
06. Beben
07. Licht Im Ozean
08. Komm Nie Wieder Zurück
09. Leichtsinn
10. Untergehen

Release: 09/2012

Witt @ LabelLos.de
Witt @ Facebook

Kommentar(e)
Dom
Geschrieben von Gruftine am 2012-10-10 14:36:20
gute rezi. 
das album finde ich persönlich auch gelungen. ich mag seine stimme sehr.

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