06.08.09 KOLUMNE: 9mm Mittagspausenphilosophie - Teil 142 |
Geschrieben von Genom | ||
Donnerstag, 6. August 2009 | ||
Man sieht, was man will - Part III: Verdrängen Er zündete sich einen Zigarettenstummel an, die Adern zeichneten sich durch die alte, dreckige, pergamentartige Haut ab, mit einem starken Zittern führte er das leise zischende Feuerzeug in Richtung seines Gesichts. Zog ein, zwei mal, und lehnte sich ein Stück zurück an die kalte, mit Graffitis beschmierte Wand. Darauf folgte ein tiefer Zug von dem geschmacklosen Zigarettenfilter, welcher vor wenigen Minuten noch zusammen mit vielen anderen Zigaretten auf dem Boden der Fußgängerzone gelegen hatte. Er lebte nicht so wie viele in seinem Alter in einem Altenheim, verwahrt auf engstem Raume. Er hingegen vegetierte auf den Straßen inmitten einer großen Stadt, in der es kaum Grün gab. Seine Hand folgte nun wieder in seine Tasche, um sich einen Weinbrand einzuverleiben, welchen er in dem kleinen Kiosk um die Ecke erstand - der einzige Laden in seiner Nähe, in den er noch durfte. Er durfte nicht mehr mit dem Bus oder der Straßenbahn zum Einkaufen oder sonst wohin fahren, zu vieles war schon geschehen. Die einzige Heizung war der Weinbrand in seiner zerlöcherten Tasche. An diesem Abend war in der Luft keinerlei Wärme zu spüren. Die Straßenlaterne warf ein monotones Licht auf ihn und die Brücke über ihm, welche dazu diente, Züge durch die Stadt hindurchzuführen. Alle fünf Minuten polterte wieder ein schwerer Gütertransporter über ihn hinweg, mit Sicherheit schien ihm das schon nicht mehr aufzufallen. So sah er die Nacht über in die Ferne, rauchte die gefundenen Zigarettenstummel und trank seinen Weinbrand, ein normales Bild. Es folgte eine ruhige, sternenklare Nacht. Ein Straßenreiniger fand ihn am nächsten Tag vor der kalten, mit Graffiti beschmierten Wand. Reglos. Verschieden.
Genom
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Letzte Aktualisierung ( Mittwoch, 26. August 2009 ) |