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15.04.09 KOLUMNE: 9mm Mittagspausenphilosophie - Teil 126
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Geschrieben von Genom   
Mittwoch, 15. April 2009

Am Wochenende habe ich beim Aufräumen ein wunderbares Dokument meines Lebens gefunden, bei dem es mir das Grinsen sofort bis hinter die Gehörgangheckklappen trieb.
Ein Dokument, das ich hier zum Teil gern eins zu eins wieder geben möchte - mit immer kleinen Anmerkungen zum "Tatbestand".

Eines vorweg, ich liebe den Dialog mit Menschen, die nicht einmal den Hintergrund ihrer kopierten Argumente kennen und sie einfach nur übernehmen ohne den Sachverhalt selbst zu kennen.

Hey Ho, Let's Go.

Anmerkung: Ich war zu dieser Zeit 17 Jahre alt und durch meine Lehre bedingt zur Berufsschule in einem Lehrlingswohnheim untergebracht - und zwar in Münchberg (Bayern). PAMPA!!!


Ein Brief unserer Heimleitung über mich:

Heimleitung:
Kündigung der Heimunterbringung Ihres Sohnes Chris

Sehr geehrte Fr. Mr., sehr geehrter Hr. Mr.,
Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir den Heimvertrag Ihres Sohnes fristlos kündigen.

Anmerkung: Fristlos, ja, drei Wochen nach dem "Gespräch" mit dem Betreuer, das nenn' ich wirklich fristlos.


Heimleitung:
Begründung:

Im letzten Block wurde im Zimmer von Chris eine satanische Bibel gefunden. Wir baten Chris zum Gespräch und mussten feststellen, dass es sich dabei keineswegs um jugendliche Neugier handelte. Zunächst erklärte er, dass er laut Verfassungsschutz das Recht hat dieses Buch zu besitzen und wir hingegen kein Recht, es ihm abzunehmen.

Anmerkung: So weit, so gut, im Gespräch hab ich den wehrten Herren darauf hingewiesen, dass dieses Buch frei käuflich erwerbbar ist.


Heimleitung:
Darüber hinaus bekannte er sich ideologisch zum Satanismus.

Anmerkung: Wenn man ein Gespräch über etwas führt und einer anderen Meinung ist, bekennt man sich also automatisch schon ideologisch dazu. Nur gut, dass ich nicht über die Apartheid in Afrika oder den Holocaust ein Gespräch geführt habe, sonst wäre ich rausgeschmissen worden, weil ich angeblich ein Nazi sei.


Heimleitung:
Er gab an, antichristlich erzogen worden zu sein und er habe sich für die andere Seite entschieden, da die christliche Seite heuchlerisch und verlogen wäre.

Anmerkung: Ich habe gesagt, wir feiern zuhause kein Weihnachten und ich finde das Christentum schwachsinnig.
Ihm gefiel wohl meine Wortwahl nicht, da ich das Christentum nicht als solches nannte, sondern nur als die größte Sekte der Welt bezeichnete.


Heimleitung:
Chris weigerte sich, auf ein konstruktives Gespräch einzugehen, zog vielmehr unsere Ausführungen ins Lächerliche und gab an, er ließe sich auf nichts ein, da wir uns ja auch nicht auf seine Seite einlassen würden.

Anmerkung: Also ich denke, ich saß nur mit einer Person im Zimmer… hab da wohl was verpasst. Konstruktive Gespräche gab es sicher nicht. Jemand dessen Horizont an dem Knöchel einer Kuh endet, den kann ich nicht ernst nehmen. Ja, ich habe sogar die Dreistigkeit besessen zu äußern, dass ich nicht in den Himmel will. Er meinte darauf, dass man sich doch auf etwas danach vorbereiten müsse und so sein Leben ausrichten müsse.
Mein Argument dagegen war "Sie glauben wohl, sie können dann im Himmel Engelchen auf einer Wolke poppen?" ... fand er nicht lustig ...


Heimleitung:
Chris vermittelte den Eindruck, dass er sehr genau weiß, wovon er spricht und zeigte rhetorische Fähigkeiten im Umkehren von Argumentationen.

Anmerkung: Hier hat derjenige, der den Brief geschrieben hat, einen Duden gefunden.
Natürlich wusste ich wovon ich spreche, wenn ich keinen Plan hab’, dann halt ich auch das Maul.
Argumente die keine sind, kann man übrigens auch nicht umkehren… aber weiter im Text.


Heimleitung:
Im Rahmen unserer Aufsichtspflicht und unserer Heimphilosophie können wir ein derartig ethisch verwerfliches und menschenverachtendes Gedankengut nicht dulden. Chris ließ an seinen Einstellungen keinen Zweifel aufkommen und propagiert diese auch ganz öffentlich.

Anmerkung: Weil ich schwarz trage oder wie? Kein gestürztes Kreuz, gar nichts, nur schwarze Kleidung und schwarz geschminkte Augen… ach ich liebe Bayern...


Heimleitung:
Wir sehen daher keine Chance für Ihn, sich verantwortlich in das soziale System des Jugendwohnheims einzugliedern.

Anmerkung: Danke, liebes AWO Team Münchberg, für die Einschätzung, dass ich mich nicht mit der breiten dummen Masse auf eine Stufe stellen lasse. Meinen Freundeskreis dort haben meine Art und meine Kleidung nie gestört.
Aber jetzt kommt das Schärfste...


Heimleitung:
Zudem weist Chris Wunden an beiden Handgelenken auf, was auf Selbstverstümmelung hindeuten könnte. In diesem Fall wäre generell eine Heimfähigkeit von Chris in Frage gestellt.
Aus diesem Grund sind wir nach intensiver Diskussion im pädagogischen Team einstimmig zu dem Entschluss gekommen, die Heimunterbringung von Chris mit sofortiger Wirkung zu
beenden.

Für Rückfragen steht Ihnen das pädagogische Team zur Verfügung.

Anmerkung: Dieses Schreiben ging an meine Damalige Chefin und meine Eltern.
Zu einem Gespräch oder gar einem Telefonat, selbst mit der Geschäftsleitung meiner alten Firma war aber keiner bereit. Hingegen fügte man noch hinzu, ich hätte Leuten in den Hals gebissen, was dann zu Kopfschütteln in meiner alten Firma führte.

Mit den Worten "Die Spinnen doch, diese Idioten. Chris, wir bezahlen dir eine Pension." war die Thematik für den Geschäftsführer und mich gegessen.

Und somit brach eine glorreiche Ära in der Pension an, in der wir daraufhin noch die restliche Berufsschulzeit ausgiebig feierten und mit lauter, guter Musik in rein satanischer Sicht betranken. *lach*

Genom

Kommentar(e)
...
Geschrieben von Darket am 2009-05-05 23:37:22
Darf ich fragen wann das passiert ist? Ich frage aus rein beruflich bedingter Neugier. Ich bin Erzieher und habe vor zwei Jahren eine Zeit lang mal in einem Heim gearbeitet. Kein Lehrlingsheim, sondern Jugendhilfe, aber so oder so ist man mit schließlich mit Jugendlichen konfrontiert. War sogar ein explizit christlicher Träger, was man ja von der AWO nicht mal behaupten kann, aber sowas wäre da nicht passiert. Im Gegenteil, man hat mir, der ich auch bei der Arbeit konsequent schwarz trage, lange Haare habe und weder gegenüber Kollegen noch Jugendlichen einen Hehl aus meinem Atheismus gemacht habe, nach dem Praktikum sogar eine Festanstellung angeboten, die ich allerdings ablehnen musste, da ich nicht getauft bin und zumindest die formale Mitgliedschaft in einer Kirche zum verpflichtenden Leitbild gehört (was schlimm genug ist). 
Ist natürlich neben der Frage nach der Zeit auch eine nach dem Standort. Hier im gottlosen Osten, nochdazu in der Großstadt geht man damit eventuell ein wenig gelassener um...

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